„Scheiße, was mache ich denn da!“
Ich stand vor dem Spiegel und zupfte an meinem Outfit herum.
„Ich führe mich ja wie ein Teenager vor ihrem ersten Date auf“, murmelte ich leise vor mir hin. Obwohl ich damals noch ganz andere Probleme hatte, war ich genauso nervös.
Mir kamen die Erinnerungen wieder hoch:
Ich war gerade sechzehn Jahre alt gewesen, als ich ein paar Wochen nach der Schulabschlussfeier die Hiobsbotschaft vom Arzt bekam. Schwanger!
Auf dieser Feier musste es passiert sein, ich hatte eindeutig zu viel getrunken und konnte mich an nichts mehr erinnern. Auch nicht wer für die Vaterschaft in Betracht kam. Mein eigener Vater bekam einen Tobsuchtsanfall und warf mich fast auf die Straße. In unserem kleinen Dorf wäre es eine Schande für ihn gewesen die Tochter noch minderjährig und schon ein kleines Kind. Welch ein Skandal!
Mit Tränen in den Augen reiste ich per Zug in die nächste größere Stadt. In dieser Zeit weinte ich eigentlich dauernd. Ich hatte dort Vorstellungsgespräche für meine Ausbildung. Die Termine standen schon Monate vorher fest.
Die ersten beiden Personalchefs gaben mir keine Chance, als sie das Wort ‚Schwangerschaft‘ hörten. Ich sah meine Hoffnungen schwinden, das trotz ausgezeichneter Noten. Beim Warten im Vorzimmer für den dritten Termin hatte ich nur noch geheult, meine Kraft war verbraucht. Ich konnte einfach nicht anders. Die Chefin der Firma fragte mich als Erstes was los sei. Nachdem ich ihr alles mühsam unter Schluchzen und weiteren Heulattacken erzählt hatte, nahm sie mich in den Arm und meinte nur: „Ach Kindchen, das kriegen wir schon alles geregelt. Wann kannst du anfangen?“ Ich war überglücklich und doch musste ich ihr noch gestehen, dass ich de facto Obdachlos war. Es schien fast wie ein Wunder, aber sie bot mir eine kleine Zweizimmerwohnung an, die ihr gehörte und frei war. Ich konnte sogar sofort einziehen.
Es folgten harte Jahre. Ich weiß nicht, wie oft ich nur Nudeln gegessen habe, weil ich kein Geld mehr für etwas anderes hatte. Wie oft bin ich später mit knurrendem Magen ins Bett gegangen und habe meinem Sohn vorgeflunkert, dass ich nicht hungrig war, nur weil ich nach dem Einkauf seiner Schulsachen blank war. Mit meinen Eltern hatte ich seitdem keinen richtigen Kontakt mehr. Ab und zu schickte ich ihnen Bilder von ihrem Enkel, doch außer ein oder zwei Briefe im Jahr kam nicht viel retour. Meine sozialen Kontaktmöglichkeiten waren sehr beschränkt, da ich jede freie Minute nutzte, um für meinen Sohn da zu sein.
Jetzt, sechzehn Jahre später, wohne ich noch immer in derselben Wohnung und arbeite noch immer in der gleichen Firma. Das einzige, was sich geändert hatte, war das Alter meines Sohnes.
Die einzige Freundin, die ich in der Zeit fand, traf ich beim Kinderarzt. Genau jene hatte mir dieses Treffen eingebrockt.
Vor einem Monat war ich in ihrer Wohnung und entdeckte dort diese Bilder. Ich war davon fasziniert, mein Blick wanderte immer wieder zu ihnen hin. Susanne, meine Freundin, bemerkte mein Interesse. Sie erklärte mir wie sie an die Bilder kam und was sie daran mochte.
Vor einer Woche, zu meinem zweiunddreißigsten Geburtstag, schenkte sie mir dieses Treffen. Ihre Worte kamen immer wieder hoch:
„Mach dir keine Sorgen, er ist ein erfahrener Rigger. Ich war auch schon einige Male sein Bunny. Er wird dich vorsichtig darin einführen.“ Solle ich mich darauf wirklich einlassen?
„Scheiß drauf! Es wird sowieso nicht besser, als es jetzt schon ist!“, sagte ich zu mir selber.
Ich fühlte mich merkwürdig, auch wenn ich nicht viel anders angezogen war, als auf der Arbeit, kam ich mir komisch vor. Die alte, ausgewaschene Jeans und ein T-Shirt, das auch schon bessere Zeiten erlebt hatte, mehr brauchte ich nicht, mehr hatte ich auch nicht.
Nun ja, große Sprünge konnte ich mir, als alleinerziehende Mutter eines Teenagers noch immer nicht leisten.
Nervös machte ich mich auf den Weg zum Treffpunkt. Zum Glück hatte ich eine Jahreskarte für den Bus, auch wenn sie mir jedes Mal ein Loch in mein Budget riss, es war mein eigener, kleiner Luxus, den ich mir leistete, leisten musste, und sei es, um zur Arbeit zu kommen.
An der Haltestelle überkamen mich wieder Zweifel. Mache ich das Richtige? Will ich das überhaupt? Was wird mein Sohn über mich denken, wenn er es erfährt?
„Du wirst es nie erfahren, wenn du es nicht machst!“, murmelte ich mir selber zu. Die Frau neben mir, sah mich verwirrt an, wie so oft, wenn ich mit mir selber redete.
Am Treffpunkt angekommen sah ich mich um. Auf einem Schild stand: Shibari Dojo. Daneben war ein Klingelknopf. Unsicher drückte ich ihn.
„Ich habe es getan. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.“
Von innen wurde die Tür geöffnet, ein Mann stand vor mir. Er grüßte mich freundlich:
„Hallo, ich bin Jan. Komm doch herein. Ich habe schon auf dich gewartet.“
Er sah überhaupt nicht so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte, vielleicht Mitte vierzig, schlank nicht dünn, doch trainiert. Mit einem frischen Lächeln und einem kleinen Augenzwinkern im Gesicht hielt er mir die Tür auf und bat mich herein.
Ich weiß auch nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht einen Bodybuilder mit harten Ausdruck in den Augen, der mich, mit meinen knapp einen Meter siebzig, klein und unbedeutend vorkommen lässt.
„Möchtest du einen Kaffee oder trinkst du Tee?“, fragte mich Jan und riss mich damit aus meinen Gedanken.
„Tee wäre nett“, antwortete ich unsicher.
Er führte mich an einen kleinen Tisch und bat mich, zu setzen. Kurz verschwand er hinter einem Vorhang, nur um gleich darauf mit zwei Tassen und eine Teekanne wieder zu erscheinen.
„Jasmin Tee! Ich hoffe, er schmeckt dir.“
Ich hatte bislang nur von diesem Tee gehört, getrunken hatte ich ihn noch nie und doch war der erste Schluck davon wunderbar. In Gedanken machte ich mir eine Notiz, beim nächsten Einkauf danach zu schauen und wenn er nicht zu teuer wäre, würde ich ihn kaufen.
„Hör auf ständig nur ans Geld zu denken!“, schalt ich mich selber halblaut.
Jan sah mich nur an und lächelte. Endlich jemand der mich deswegen nicht für verrückt hält.
„Es ist dein erstes Mal, hat mir Susanne erzählt?!“, begann Jan.
Ich konnte nur nicken, nahm dann noch einen Schluck Tee.
„Du brauchst keine Angst haben, ich werde langsam beginnen, du musst mir allerdings sofort sagen, wenn du dich nicht Wohlfühlst. Ich möchte dir eine schöne Zeit bereiten und dich nicht zu irgendetwas zwingen, dass du nicht willst.“ Er nahm mir die Tasse aus der Hand, an der ich mich festhalten versuchte. „Komm, steh auf!“ Zögerlich erhob ich mich vom Stuhl. Jan sah auf meine Füße. „Zieh die Schuhe aus! Dann können wir anfangen.“ Ich sah in seine Augen. Mein Mund war staubtrocken. Ich musste hart schlucken. „Nur wenn du es möchtest“, fügte er hinzu. Seine sanften Augen gaben mir Vertrauen.
Ich schlüpfte aus den Schuhen. Die Frage, ob ich will oder nicht, stellte sich nicht so richtig. Vor allem wollte ich nicht, dass Susanne Geld ausgegeben hatte, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen.
Jan bat mich, mich mitten auf die Bodenmatten, in diesem Bereich hinzusetzen. Er holte einige Seile und schaltete leise Musik an. Vorsichtig legte er ein Seil um meine Handgelenke. Mehrfach kontrollierte er, ob seine Finger zwischen dem Seil und meiner Haut noch passten, hinterher machte er einen Knoten. Es fühlte sich nicht eng an. Es schnitt auch nicht ein, wie ich befürchtet hatte, es glich eher einer zärtlichen Umarmung.
Seine Frage, ob alles in Ordnung sei, konnte ich nur mit einem Nicken beantworten. Meine Stimme gehorchte mir nicht mehr. Irgendwie befand ich mich nicht mehr im hier und jetzt.
Jan begann ein Seil um meine Beine zu winden, dass er anschließend verknotete, auch hier passte er auf, dass es nicht eng saß. Er ließ einen Abstand und machte einen weiteren Knoten. Ich sah ihm dabei zu, wie er das Seil um beide Beine legte und nachher in die Lücke dazwischen wieder durchfädelte und es auseinander zog. Das so entstandene Karo sah kunstvoll aus. Auf diese Art machte er weiter, bis ein Karo nach dem Anderen bis zu meiner Hüfte hinaufging.
Ich konnte die Beine nur mehr wie einen Fischschwanz bewegen. Hilflos saß ich auf dem Boden und doch fühlte ich mich freier, als je zuvor.
Meine Bewegungsfreiheit wurde noch weiter eingeschränkt, als er ein weiteres Seil um meinen Brustkorb legte.
In dem Moment bemerkte ich eine Schrift an der Wand: „Manchmal muss man gefesselt sein, um sich frei zu fühlen.“
Wie wahr mir dieser Spruch erschien, begriff ich erst später.
Ruhig und gelassen saß ich da. Ich bewegte mich, drückte gegen die Seile, die mir Halt gaben und mich begrenzten.
Mein Geist war frei, die Hintergrundmusik trug mich fort und zeigte mir die Orte meiner Vergangenheit, an denen ich Glücklich war. Ein innerer Frieden breitete sich aus und gab mir neue Kraft.
Ich hörte nur weit entfernt ein Klicken und ein Surren, danach noch eines. Wirklich registriert hatte ich es zu dem Zeitpunkt nicht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit begann Jan die Knoten zu lösen. Die Seile fielen einfach von mir ab, als ob sie nie an mir gewesen waren.
Auch als alle Seile entfernt waren, blieb ich noch immer regungslos sitzen. Ich wollte noch nicht aufstehen, es würde diesen Traum beenden.
Jan brachte mir meine Tasse Tee. Wie im Trance trank ich einen Schluck davon.
In diesem Moment brachen die Tränen aus mir heraus. Es waren Tränen der Freude, Freude über das, was ich gerade erlebt hatte.
Jan nahm mich behutsam in den Arm. Seine Stimme wirkte beruhigend auf mich. Ich verstand nicht was er sagte, das brauchte ich auch nicht, ich spürte nur eine mir bis dato unbekannte innere Wärme.
„Jan, was war das?“, fragte ich ihn, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte.
„Du hast geweint, oder was meinst du?“
„Es war, als würde ich fliegen, als ob ich ganz woanders wäre. Ich verstehe, dass nicht.“
„Das haben mir schon einige andere auch erzählt. Als ob man von außen auf sich selber schaut, wie eine Gedankenreise in das Universum.“
„Ja, genau so war es“, antwortete ich nachdenklich. „Eine andere Frage hätte ich jetzt noch an dich, was war das für eine Musik die spielte, als du mir das Seil um die Brust gelegt hast. Sie war so … so … sie hat mich einfach mitgenommen, getragen, ganz weit fort — einfach himmlisch.“
„Das Stück heißt Greensleeves. Es ist ein altes englisches Volkslied, eines meiner liebsten Lieder.“
Ich atmete stark aus und wischte mir über das Gesicht. „Danke, Jan, für alles. Es war die schönste Zeit der letzten Jahre für mich. Es muss schon spät sein, ich sollte jetzt gehen.“
Ich zog mir meine Schuhe an, stand auf und musste mich gleich an etwas festhalten. Jan griff meinen Arm. Als ich mich zur Tür drehte, hielt er mich zurück. „Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte er. „Ja, ich denke schon. Ich… ich muss jetzt los“, antwortete ich.
„Für dich, zur Erinnerung!“ hörte ich ihn noch sagen. Er drückte mir ein Kuvert in die Hand und begleitete mich zur Tür hinaus.
Ich lief zur Bushaltestelle, irgendwie war ich verwundert, dass es noch so hell war. Dort angekommen sah ich auf eine Uhr.
Ich konnte es nicht glauben seit ich von zu Hause aufgebrochen war, waren erst zwei Stunden vergangen. Mir war es wie eine Ewigkeit vorgekommen, die ich bei Jan im Dojo verbracht hatte und doch war es nur eine so kurze Zeit gewesen.
Grübelnd stieg ich in den nächsten Bus nach Hause.
In der Wohnung fand ich einen Zettel von meinem Sohn: Genieße den Samstag! Ich bin bei Micha.
Ganz alleine in der Wohnung holte ich mir ein Glas Leitungswasser und setzte mich auf das Sofa. Es war gleichzeitig mein Bett. Am Wasser nippend dachte über das erlebte nach.
Es war so anders, als alles zuvor. Noch nie hatte ich solche Empfindungen. Noch nie fühlte ich mich so frei, obwohl ich in meinen Bewegungen so eingeschränkt war. Es war einfach schizophren.
Mir fiel Jans Kuvert ein. Schnell zog ich es aus meiner Tasche und öffnete es voller Ungeduld. Ich staunte nicht schlecht. Es enthielt zwei Polaroid Fotos. Die Bilder zeigten mich gefesselt im Dojo. Ich bemerkte den entrückten Gesichtsausdruck, den ich darauf machte und war über mich selbst verwundert. Nur vom alleinigen Ansehen der Fotos kehrte das Gefühl zu fliegen wieder zurück.
Alles um mich herum wurde unwichtig und rückte in den Hintergrund, nur ich war noch da – und das schöne Gefühl, das sich aus meinem Herzen ausbreitete und mich vollständig in Besitz nahm.
Durch ein Klingeln wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Wie ferngesteuert ging ich zur Tür und öffnete diese, zum ersten Mal hatte ich dabei nicht durch den Spion geschaut, um zu sehen, wer etwas von mir wollte.
Vor mir stand Susanne. Sie fiel mir sogleich um den Hals.
„Da bist du ja Kleines!“, sagte sie und herzte mich ausgiebig. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Nachdem Jan mir gesagt hatte, dass du so überstürzt von ihm weggegangen bist, bin ich sofort zu dir. Mach so etwas nie wieder. Hast du mich verstanden!“
„Was… Wie… Warum…?“, stammelte ich. Irgendwie verstand ich sie zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig.
Susanne schloss die Tür, zog mich zu meinem Sofa und drückte mich auf die Sitzfläche, bevor sie sich neben mich setzte.
„Liebes, normalerweise setzt man sich nach einer Session mit dem Rigger zusammen und redet mit ihm über das Erlebte. Man rennt nicht einfach so nach Hause!“ Susanne strafte mich mit ernstem Blick, so hatte ich sie noch nie erlebt seit ich sie kennenlernen durfte.
Ich hatte mich erst nach langer Zeit daran gewöhnt, dass sie mich immer mit Liebes oder Kleine ansprach. Irgendwie passt es auch, sie war mit der Zeit für mich zu einer Ersatzmutter geworden. Sie, die erfahrene Frau, die fast zwanzig Jahre älter war, als ich. Neben ihr kam ich mir lange wie ein Kind vor.
Als sie mir von ihrer Leidenschaft für BDSM erzählte, wollte ich es nicht glauben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet sie, die taffe Geschäftsfrau, sich ihrem Mann ausliefert und sich sogar schlagen ließ. Auch als sie mir erklärte, dass sie sich dabei so frei wie nie fühlt, wenn sie keine Entscheidungen treffen brauchte und einfach alles annehmen musste, was er ihr befahl. Mir war es bis heute ziemlich unverständlich, auch wenn ich ihre Vorliebe bislang immer akzeptierte.
„Kleine, wie geht es dir?“, riss mich ihre Stimme aus den Gedanken. „Weißt du“, fuhr sie ohne auf meine Antwort zu warten fort. „Das erste Mal gefesselt zu werden, war für mich eine sehr einschneidende Erfahrung. Ich war danach völlig fertig und wusste nicht, wie ich es Verarbeiten sollte. Mir hat es zwar gefallen, doch ich machte mir Vorwürfe, dass mir als selbstbewusste Frau, das doch nicht gefallen dürfte. Zum Glück war mein Mann bei mir und half mir mit diesem Zwiespalt klarzukommen . Mittlerweile sind er und ich, wie du ja weißt, noch viel weiter gegangen. Wir genießen es jedes Mal aufs neue.“
„Susanne, es geht mir gut!“, beschwichtigte ich sie. „Ich mache mir keine Vorwürfe deswegen. Ich habe es gemacht, weil du es mir geschenkt hast. Ich habe es genossen, … sehr genossen, sogar. Ich bin nun um diese Erfahrung reicher. Mehr ist nicht. Du kannst mir das glauben, es ist alles in Ordnung. Auch wenn ich etwas enttäuscht war, als ich nach Hause kam, weil niemand da war. Ich hätte jedoch sowieso nicht mit ihm darüber reden können.“
„Bist du dir da so sicher?“, fragte mich Susanne. „Ich glaube, dein Sohnemann versteht dich besser, als du denkst.“
Diese Antwort erschreckte mich, verwundert fragte ich sie: „Was meinst du damit? Er versteht mich besser, als ich denke?“
Susanne lachte herzerfrischend auf, sah mich mit ihren warmen Augen an und sagte: „Hast du dich noch nie gefragt, wer Micha ist? Oder warum er sich so oft mit Micha trifft?“
„Nein, warum sollte ich? Es ist sicher irgendein Freund aus der Berufsschule oder von der Arbeit. Warte male, woher weißt du eigentlich von Micha? „
„Micha, heißt eigentlich Michaela und ist meine Tochter. Dein Sohn und meine Tochter, Micha, sind zusammen. Sie ist in sehr vielen Belangen mir sehr ähnlich. Seit er ihr Nachhilfe gibt, hat sie mehr gelernt, als im gesamten vergangenen Schuljahr. Seitdem sie für Fehler von ihm eine Strafe bekommt, lernt sie jetzt wie eine Verrückte. Wenn sie letztes Jahr schon so viel gelernt hätte, wäre sie Klassenbeste gewesen.“
Ich riss die Augen weit auf. Mein Sohn war mit der Tochter meiner besten Freundin beisammen und ich habe nichts bemerkt. Das schockierte mich mehr als die Aussage, dass er sie für Fehler bestrafte. Er war schon oft anderen gegenüber sehr bestimmend aufgetreten und auch in der Schule das Sprachrohr für die anderen. Er hätte ohne weiteres weiter zur Schule gehen können und später studieren, doch er hatte sich entschieden eine Lehre zu beginnen. Er tat es, auch um mir nicht länger auf der Tasche liegen zu müssen, wie er mir glaubhaft erklärte.
„Susanne, du meinst Michaela und er… „, weiter kam ich nicht.
„Ja, Michaela und dein Sohn haben eine Beziehung, in der er dominant ihr gegenüber ist und sie den devoten Part einnimmt. Michaela weiß schon seit einiger Zeit, dass ich meinem Mann gegenüber unterwürfig bin. In groben Zügen hat sie auch eine Ahnung, was wir in unserem Spielzimmer treiben. Wir haben vor ihr keine Geheimnisse, daher hat es mich auch nicht sonderlich überrascht, als sie vor drei Wochen mit einem Halsband nach Hause gekommen ist und mir sagte, dass sie ihren Herren gefunden hat. Es hat mich nur überrascht, als sie mir ihren Herren vorgestellt hat und ich erkannte, wer es ist. Er tut ihr gut und ist auf jeden Fall so verantwortungsvoll, wie er nur kann. Beide wissen, dass sie jederzeit zu mir oder meinem Mann kommen können, wenn irgendetwas ist.“
Ich hörte das Lob in ihrer Stimme und wusste, dass mein Sohn alles richtig machen würde. Er würde von Susanne und ihrem Mann jede Unterstützung bekommen, die er wollte und auch von mir, soviel stand fest.
Susanne und ich saßen noch einige Zeit beisammen. Wir redeten und lachten miteinander. Ich zeigte ihr auch die Fotos, die ich von Jan bekommen hatte. Sie gefielen ihr ausgezeichnet. Kurz bevor sie wieder ging, meinte sie noch: „Triff dich doch noch einmal mit Jan. Er würde sich sicher freuen, wenn du ihn noch einmal besuchst.“
„Ach, Susanne, ich kann mir doch nicht leisten noch einmal zu ihm zu gehen. Das Geld ist für diesen Monat schon wieder knapp.“
„Es geht nicht immer nur ums Geld. Glaube mir das doch. Ich lasse dir seine Nummer da. Vielleicht hast du ja am Montag auf der Arbeit Zeit, ihn anzurufen. Sei es nur, um ihm zu sagen, dass es dir gut geht. Er macht sich echt Sorgen um dich. Ich werde ihm zwar heute noch sagen, dass alles in Ordnung ist, doch er würde es sicher gerne von dir selber hören. Mach’s Gut, mein Liebe!“, sagte sie zum Abschied.
Wieder alleine, konnte ich mich in meine Gedanken zurückziehen. Ich hatte so viel Neuigkeiten erfahren. Erst die neue Erfahrung bei Jan, dann dass mein Sohn mit der Tochter meiner besten Freundin zusammen war und dann auch noch ihr Herr war. Ich sah nun meinen Sohn und mich selber in einem anderen Licht.
Spät am Abend kam er nach Hause.
„Hi, Ma! Wie gehts? Wie war dein Tag?“ begrüßte er mich.
„Hallo mein Schatz! Der Tag war spannend, erlebnisreich und ausgesprochen informativ.“
Er sah mich an, wie die sprichwörtliche Katze die den Kanarienvogel verschluckt hatte. Nach einem kurzen Moment fing er sich wieder und fragte ganz unschuldig: „Was meinst du mit informativ?“
„Mir wurde heute gesagt, wer Micha ist und wie ihr zueinander steht! Hast du etwa gedacht, ich hätte was dagegen? Wenn ihr euch liebt, ist es für mich in Ordnung oder hast du etwas anderes geglaubt?“
„Nein Mama, habe ich nicht!“, antwortete er entrüstet. „Ich wollte es dir nur noch nicht sagen, wegen deiner Freundschaft zu Susanne. Wie viel weißt du?“, fragte er vorsichtig nach.