Wieder nichts Passendes! Nur zweifelhafte Angebote als Kellnerin, Putzhilfe oder andere unterbezahlte Tätigkeiten für Studenten.
Enttäuscht drängelte ich mich durch die Traube der Kommilitonen und Kommilitoninnen vor dem Schwarzen Brett in der Mensa und schlenderte missmutig zum Serviertresen, um mir das billigste Tagesgericht zu bestellen. Nudeln mit Soße. Der unangenehme Typ, der mit der Kelle den Teller füllte, blickte mich frech und fragend an. Es kostete mich einige Überwindung, ihm meinen reizendsten Augenaufschlag zu schenken, damit er die Portion etwas vergrößerte, so wie eigentlich immer in den letzten Wochen. Ich zwang mir ein dankbares Lächeln ab und legte den vorletzten Essensbon auf den Tresen, um dann vorsichtig den randvoll gefüllten Teller zu einem freien Platz an einem der Tische zu balancieren.
„He, du kennst ja wohl keine Leute mehr“, hörte ich plötzlich eine Stimme neben mir.
„Oh Gott, Alina, ich hab dich gar nicht gesehen, Verzeihung …“
„Macht ja nichts, aber irgendwie läufst du hier rum, als hättest du Probleme! Kennst niemanden mehr und bist immer gleich weg nach der Vorlesung. Was ist los mit dir?“
Sie schob mir den Stuhl passend hin und setzte sich neben mich.
„Hast ja Recht, im Moment ist alles ziemlich verfahren“, antwortete ich, „und wieder nichts Vernünftiges am Schwarzen Brett.“
„Ach komm“, lächelte sie mich aufmunternd an, „erzähl doch mal …“
Eigentlich war ich überhaupt nicht in der Stimmung, etwas zu erzählen, aber sie drängelte so, dass ich ihr endlich mein Herz ausschüttete. Ich berichtete ihr, dass mein Freund mich wegen einer anderen verlassen hätte, dass ich jetzt mit der Miete für die kleine Wohnung allein klar kommen müsse und dass ich auf keinen Fall meinen Vater anbetteln würde, mir zu helfen. Dabei hatten Rainer und ich zusammen die Wohnung ausgesucht. Sogar die Kaution hatte er bezahlt. Nur den Mietvertrag wollte er nicht mit unterschreiben … da hätte ich schon gewarnt sein sollen!
„Zu stolz, wa?“ grinste sie mich an.
„Vielleicht, ja …“
„Willst wohl nicht zugeben, dass deine Eltern Recht hatten, oder? Deine Mutter hatte ja gleich was gegen ihn, und dein Vater sowieso …“
Ich hatte den Mund voll und nickte nur zustimmend.
„Also, ich hab dir ja auch gleich gesagt, dass Rainer nichts für dich ist. Dieser unzuverlässige Windhund. Jetzt ist er bei dieser Sandra eingezogen um bei ihr zu schmarotzen. Und die blöde Kuh ist so blind und verliebt, die merkt auch nichts mehr. Jedenfalls noch nicht! Na ja, irgendwann kapiert sie das auch noch. Nicht umsonst wird er ‚Rainer der Rammler‘ genannt!“
Sie lachte hell auf. „Und wir dummen Gänse fallen auf solche Typen rein! Aber das passiert mir nicht mehr. Nicht mit Tante Alina!“
Irgendwie tat es mir gut, dass ich Alina meine Sorgen erzählt hatte, aber dadurch wurde meine Situation auch nicht gerade besser. Schweigend löffelte ich die Soße vom Teller und blickte etwas neidisch Alina an, die wieder blendend aussah in ihren neuen Klamotten und genüsslich das letzte Stück Schnitzel in den Mund schob.
„Meine Augen waren wieder mal hungriger als mein Bauch“, meinte sie dann und schob den Teller weg, „willst du mein Eis haben?“
„Brauchst kein Mitleid mit mir zu haben! Iss ruhig deinen Nachtisch selbst auf.“
„Komm, zier dich nicht so, ich weiß doch, wie gerne du Eis schleckst. Und ich sollte ja eigentlich nicht so viel essen, bin eh schon viel zu fett!“
Nun ja, das Argument stimmte. Sie hatte eine, wie soll ich sagen, sehr frauliche Figur mit üppigen Rundungen, zwar alles wohl proportioniert, aber doch einige Kilos mehr als nötig.
Sie schob mir ihren Nachtisch hin. Vanilleeis mit heißen Kirschen, allerdings schon fast geschmolzen und die Kirschen waren auch nur noch lauwarm. Aber es schmeckte! Wunderbar sogar.
Dankbar lächelte ich sie an.
„Was suchst du denn für einen Job“, fragte sie und schaute mir zu, wie ich genüsslich ihr Dessert verputzte.
„Na ja, einen der nicht so mies bezahlt wird und für den ich nicht allzu viel Zeit investieren muss. Demnächst fangen die Prüfungen an und da kann ich nicht zu viele Stunden nebenbei jobben.“
Sie schaute mich prüfend an.
„Ich hätte da vielleicht was für dich … aber …“
Sie machte eine Pause.
„Was aber?“
„Hmmm, ich weiß nicht, ob das was für dich ist. Ist ein bisschen heikel …“
„Wieso heikel? Was meinst du damit?“
Meine Neugier war geweckt. Was aber meinte sie mit ‚heikel‘?
„Na ja, du bist doch immer so ‚moralisch‘ drauf …“
„Hä? Moralisch? Jetzt komm aber nicht mit einem Job als Escort oder so …!“ Ich war ziemlich geschockt und wurde ärgerlich. Verdiente sie sich etwa auf die Art die Knete für ihren reichlich verschwenderischen Lebensstil?!
„He, nicht so laut! Reg dich ab und mach mal halblang!“, fiel sie mir ins Wort und sprach dann leise weiter, „natürlich keinen Job als Hobbyhure oder so was, ganz bestimmt nicht! Nur ein Nebenjob als Scout!“
„Als Scout?“ Ich starrte sie wohl etwas dümmlich an, denn sie musste lachen und meinte, ich solle mal den Mund wieder zu machen.
„Ja, als Scout. Mach ich selbst schon seit fast einem halben Jahr.“
Ich beruhigte mich langsam und wollte nun genau wissen, was das für ein Job war.
Da die Tischnachbarn wegen meiner etwas zu lauten Reaktion die Ohren spitzten, meinte sie, wir sollten lieber raus gehen und uns ein ruhiges Eckchen suchen, wo uns niemand stören würde. Wir brachten also die Tabletts weg und schlenderten hinaus. Das Wetter war schön, nur eine leichte Brise wehte.
„In den Botanischen Garten?“
„Ja, gute Idee! Da sind jetzt wenige Leute und wir finden auch ne Bank.“
Es waren wirklich fast keine Besucher zu dieser Zeit da und wir fanden schnell eine Ecke, in der unter einem blühenden Kirschbaum eine einzelne Bank stand.
„Zigarette?“ Alina steckte sich selbst eine an und reichte mir die Schachtel und das Feuerzeug.
„Ja, jetzt gerne. Aber nun leg mal los!“
Es dauerte etwas, bis ich die Zigarette endlich angezündet hatte, während Alina mit geschlossenen Augen offenbar nach den richtigen Worten suchte.
„Na, was ist jetzt?“
„Ich fang mal so an“, begann sie und betrachtete intensiv ihre Zigarette, „wie du weißt, gibt es viele Frauen, die gerne ein Kind bekommen möchten …“
Ich verstand nur Bahnhof.
„Ja und? Ist doch kein Problem, oder? Und was hat das mit dir als Scout zu tun?“
„Kommt noch, ich muss nur etwas weiter ausholen.“
Sie nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und musste husten. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder sprechen konnte.
„Eigentlich sollte ich ja aufhören mit dem Qualmen, aber jetzt brauch ich das.“ Sie atmete tief durch.
„Na ja, sie wollen so gerne schwanger werden, aber mitunter gibt es Probleme …“
„Soll ja vorkommen, dafür gibt es andere, die ungewollt schwanger werden.“
Ich fand das Gespräch bis hierher ziemlich wirr und wusste nicht, worauf das Ganze hinauslaufen sollte, insbesondere mit der Tätigkeit als Scout.
„Und es gibt auch sehr reiche Frauen, die solche Probleme haben. Verstehst du?“
Ich verstand nicht, was sie meinte.
„Red mal etwas mehr Klartext, ich kapier im Moment rein gar nichts!“
„Hast ja Recht“, gab sie zu, „aber das ist etwas kitzlig jetzt … menno, ich hab Angst, dass du mich falsch verstehst …“
„Wenn du weiter so in Rätseln sprichst, dann riskierst du wirklich, dass ich dich falsch verstehe!“
„Ach du …“, sagte sie gequält, „aber gut! Ich arbeite für eine Privatklinik für die Erfüllung von Kinderwünschen! Jetzt weißt du es!“
Ich war verblüfft. Alina als Klinikhelferin? In einer Klinik, in der reiche Damen… etwa künstlich besamt werden?
„Und was ist dabei so heikel? Viele Frauen lassen sich künstlich besamen!“
„Das ist es ja …“, murmelte sie und sah mich hilfesuchend an.
„Was ist es ja?“
Sie schnipste ihre Kippe weg und steckte sich sofort eine neue an.
„Es ist … die Damen werden nicht künstlich besamt … jetzt weiß du es!“
Ich musste laut lachen.
„Wie? Was? Nicht künstlich? Meinst du etwa, die werden da … ich meine, wirklich?“
Mein Lachen wirkte befreiend auf die arme Alina und sie lächelte zuerst etwas verschämt, um dann ebenfalls zu lachen.
„Ja, wirklich.“
„Aber hör mal, deswegen müssen die doch nicht in die Klinik. Das können die doch selbst organisieren, oder? Es gibt bestimmt viele Kerle, die den Damen nur zu gerne dabei behilflich sind!“
Sie lächelte versonnen.
„Zuerst mal bin ich froh, dass du es mir nicht krumm nimmst, da zu arbeiten. Aber jetzt erzähl ich dir auch die ganze Geschichte. Also, die Damen sind alle durchweg sehr reich, zum Teil verheiratet, aber auch viele solo. Und alle wollen unbedingt ein Kind bekommen, ein eigenes, kein adoptiertes. Aber entweder ist der Partner unfruchtbar oder sie haben keinen. Selbst Lesben hatten wir schon — inzwischen schon fast die Hälfte aller Fälle! Meistens Lesbenpaare. Aber sie alle wollen oder können nicht selbst auf die Suche gehen, um den richtigen Vater zu finden …“
Es begann mir langsam zu dämmern.
„Sag mal, ist das etwa deine Aufgabe, die richtigen Männer zu finden?“ Ich starrte sie ungläubig an und musste grinsen bei der Vorstellung, wie sie auf der Jagd nach geeigneten Kandidaten war.
„Ja, du hast es endlich kapiert!“ Erleichtert, als ob sie eine Beichte abgelegt hatte, schaute sie mich an.
„Jetzt brauche ich aber noch eine Zigarette“, war erstmal alles, was ich antworten konnte.
Nach einem längeren Schweigen — ich rauchte fast die ganze Zigarette auf — wollte ich doch mehr wissen.
„Aber sag mal, wie machst du das? Sprichst du einfach so die Männer an: ‚Hast du nicht mal Lust, Vater zu werden‘, oder wie? Ich stell mir das nicht so einfach vor.“
„Ist auch wirklich nicht so einfach“, meinte sie nachdenklich, „aber das ist eben die Kunst. Die Klinik hat ja auch extrem hohe Ansprüche, und die Kandidaten müssen eine ganze Reihe von Kriterien erfüllen. Sie müssen in jeder Beziehung hochklassig sein, körperlich und intellektuell. Und natürlich gut aussehen und vollkommen gesund sein.“
„Na klar“, stimmte ich ihr zu, „wenn die schon dafür bezahlen, ich meine die Frauen, dann wollen sie sicherlich auch was Anständiges dafür bekommen … sag mal, wie viel müssen die denn auf den Tisch legen? Und wie viel bekommst du für deine Bemühungen? Und was musst du überhaupt dafür machen?“
„Also, die Damen bekommen die freie Auswahl aus den zur Verfügung stehenden Männern. Das sind im Moment um die dreißig. Alles große, sportliche Typen mit hohem IQ, meistens Studenten oder Doktoranden. Dafür bezahlen sie, die Damen, einen Pauschalpreis an die Klinik, wie viel genau weiß ich jedoch nicht. Dafür garantiert die Klinik aber auch den Erfolg, egal wie lange es dauert. Der zukünftige Vater bekommt für jeden ‚Natursprung‘ von der Klinik zweihundert bar auf die Hand, aber verpflichtet sich, auf Abruf bereitzustehen…“
Ich unterbrach ihren Redefluss, weil ich laut loslachen musste: „Natursprung! Hahahaha! Hört sich an als wenn ein Hengst eine Stute deckt…“
Aline bemerkte ihren freudschen Versprecher und musste selbst lachen, fuhr dann aber fort: „… ich bekomme eine Aufwandsentschädigung für die erfolgreiche Suche und Spesen. Und einen Bonus, wenn mein Kandidat seine Aufgabe erfolgreich erledigt hat. Im Schnitt insgesamt so etwa um die tausend pro Kandidat. Ich hab bisher schon fünfzehn Mal den Bonus erhalten.“
„Donnerwetter, das ist nicht schlecht. Und ‚Natursprung‘ hört sich wirklich geil an. Wie auf einem Gestüt …“ Ich musste wieder lachen bei der Vorstellung, und Alina ebenfalls.
Staunend rechnete ich hoch. Kein schlechter Monatsverdienst, so nebenbei.
„Und was musst du alles machen dafür? Nur die Kandidaten ranschleppen?“
Alina grinste.
„Ich muss natürlich dafür sorgen, dass die Männer alle Kriterien erfüllen. Und das ist manchmal nicht so einfach …“
„Ach ja?“
„Ich muss unter Anderem ja kontrollieren, ob sie auch potent und zeugungsfähig sind …“
„Du willst doch wohl nicht sagen, dass du selbst deren Potenz kontrollierst, oder?“
Sie grinste mich an.
„Meistens testet ja die Chefin selbst und macht auch die Untersuchung des Spermas … aber wenn es sein muss … außerdem helfe ich manchmal in der Praxis mit.“
Mir wurde schwindelig und ich verschluckte mich an der inzwischen weiteren Zigarette.
„Alina!!!“
Sie grinste immer noch.
„Jetzt bist du aber doch schockiert, oder?“
„Ja, das kannst du mir glauben!“
Sie blickte auf die Uhr und stand auf.
„Ich hab gleich einen Termin und muss los.“
Sie war schon einige Schritte gegangen und drehte sich um.
„Übrigens, ich halte mit dem Job bald auf. Ich bin nämlich schwanger und werde demnächst heiraten. Meinen Lieblingskandidaten. Du kannst es dir ja überlegen. Meine Telefonnummer hast du ja …“